Freitag

Freitag wollte ich zu Ullas Beerdigung.

Also frühs aufgestanden und um 7 Uhr los – laut Zeitplan hätte ich um halb 11 in der Stadt sein müssen. Dachte ich.

Der erste Zug hatte ein wenig Verspätung, aber nicht schlimm. Wäre kein Problem gewesen. Allerdings in Frankfurt festgestellt, dass dort gestreikt wird. Mal wieder. Echt, Leute, ich wäre so dankbar für einen Job, wie ihr ihn habt… Nun ja. Nach einer Weile warten fuhr der nächste dann doch und ich kam mit ein wenig Verspätung doch noch an.

Straba war auch gleich da und ich dachte, ich hätte so genug Zeit, die Kirche zu suchen. Auf den Plan geschaut und losgelaufen.

Allerdings kenne ich mein Orientierungsgefühl (nämlich nicht vorhanden) und fragte eine Frau, die mir prompt sagte, dass ich in der falschen Richtung unterwegs wäre. Umgedreht und wieder über die Straße, weiter und den nächsten gefragt. Und so hangelte ich mich immer weiter, immer schneller laufend und mit der Sorge, zu spät zu kommen.

Irgendwann war mir klar, dass es weiter weg war als erwartet und dass das hoffentlich noch halbwegs klappen würde. Mit nur wenig Verspätung erreichte ich dann die Kirche. Und war leicht irritiert, dass es so ruhig war… Ich suchte und suchte – nur, um dann festzustellen, dass es der falsche Friedhof war. Anscheinend wurde ich einen Stadtteil weiter geschickt…….

Also wieder auf den Rückweg gemacht, rumgefragt… Letztendlich wieder an meinen ursprünglichen Anfangspunkt gekommen. Zu dem Zeitpunkt war mir klar, dass ich das vergessen konnte. Selbst, wenn ich jetzt den Friedhof sofort gefunden hätte (und ich wusste immer noch nicht, wo er überhaupt war oder wie ich dorthin kommen würde), würde ich, so, wie ich die Entfernung einschätzte, mit ca. 1-1,5h Verspätung eintreffen würde. Was rein logisch sinnlos geworden wäre. =(

 

Es war äußerst frustrierend. Ich wollte wirklich hin. Um Abschied zu nehmen, von einer Frau, die ich gerne näher kennengelernt hätte, die mir oft viel Mut gegeben hat, die einen versteht, in einer Art und Weise, wie es nur jemand kann, der selbst in der Situation ist. Um mich selbst mit einigen Dingen zu konfrontieren, die mich in letzter Zeit belasten. Aber auch als eine Art Danke, ein stilles Zeigen von Respekt, nicht nur an sie, sondern auch an ihre Familie, von mir und von all denen, die wie ich ihr Blog mitgelesen haben und die vielleicht nicht kommen konnten. Denn weiterhin zu schreiben, uns teilhaben zu lassen, das stelle ich mir sehr heftig vor… Und deshalb nur hier, in ein paar Buchstaben, ein großes Danke….

 

Nun ja. Letztendlich bin ich also wieder zurück zum Bahnhof und nach Hause, wo ich knapp 12 Stunden später ankam. Es war ein sehr schmerzhafter Tag, körperlich wie psychisch. Körperlich, denn so lange laufen und Zug fahren ist für einen EDSler nicht sehr gut, Knie, Hüften, ein paar Zehen, ein Wirbel und eine Schulter waren gereizt, entzündet oder subluxiert. Psychisch, weil ich mich über mich selbst geärgert habe, dass ich das nicht vernünftiger organisiert hatte, früher gefahren war; weil es einfach Momente gibt, in denen man sich einsam fühlt.

Hm…

Nein, ich habe es nicht vergessen, hier zu schreiben. Tatsächlich habe ich noch einige Artikel im Kopf, beispielsweise den Bericht über das Kongresszentrum in Würzburg etc.

Aber irgendwie habe ich gerade zu viele Gedanken nebenher, zu viele Sachen, die geregelt werden müssen. Ab dem 1. April bin ich arbeitslos, das alles zu klären braucht eine Lawine an Belegen und Daten, vor allem, da ja auch amtsärztlich geklärt werden muss, ob ich überhaupt arbeitsfähig bin. Das große Problem dabei: rein theoretisch bin ich vermutlich arbeitsfähig (will heißen, ich bin in der Lage, mehr als 3 Stunden täglich zu arbeiten), aber halt leider unter so speziellen Bedingungen, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Job zu finden, gleich Null ist.

Mit meinem 400€-Job komme ich zwar noch über die Runden, vor allem, da meine Familie lieberweise die Miete bezahlt, sonst würde es knapp werden, aber durch die KG-Kosten und Wertmarke und solche Scherzchen ist das im Moment auch nicht so prickelnd. Vor allem, weil man kaum noch die Möglichkeit hat, irgendwie rauszukommen, um durchzuatmen…

Neue Klamotten bräuchte ich auch (und hey, einkaufen macht immer Spaß…), aber das Zeug ist nun mal nicht umsonst, mal ganz davon abgesehen, dass ich mir langsam alt vorkomme – das, was jetzt modern ist, ist ziemlich genau das, wogegen ich mich vor 10 Jahren verzweifelt gewehrt habe. Als meine Großeltern mir das andrehen wollten. Wie kann man nur in Strumpfhosen rumrennen (ja, auch wenn sie jetzt Leggins genannt werden, es sind nun mal Strumpfhosen!) und dann nur noch ein Tshirt darüber… Und das am besten noch mit… ungünstiger Figur.. *schauder*

Jetzt ist auch noch mein geliebter Laptop ins nächste Leben gegangen (oder der Adapter, das müssen wir noch klären), mein Handy ebenfalls (und wenn es mal geht, wählt es sich teilweise ins Internet, danke…). Gut, mein PC rettet mich noch (ohne Internet würde ich ja durchdrehen, als bekennender Süchtling), doch leider kann ich an dem Stuhl nicht lange sitzen, nach spätestens 15min zickt der Rücken.

Der Körper mag auch nicht mehr so recht und protestiert gegen den Job, wir sind am Verhandeln. Ok, mit täglich subluxierender Schulter und Hüfte hat er zwar ne gute Argumentation, dazu inzwischen durchgehend Rückenschmerzen (hab nen Wirbel in der LWS, der je nach Bedarf die Richtung wechselt), aber noch bin ich diejenige, die sagt, wo es lang geht. Leider ist schon länger ein ausführlicher Streik nachts dabei (im Normalfall bin ich nach spätestens 3h wieder wach), aber mal sehen, wir werden uns schon noch einigen..

 

Egal, was ich sagen will: ich hab euch nicht vergessen und lese auch überall mit, nur meine Redestimmung ist gerade nicht so…

In Trauer

 

 

Ulla ist gegangen.

So lange hat sie gegen ihre Krebsart gekämpft, sie hat nie aufgegeben. Aber dafür viel weitergegeben, speziell an andere Leute mit Krebs und Angehörige. Ich bin froh, sie kennen gelernt zu haben und dankbar, dass sie uns hat mitlesen, mitleben lassen.

Auch ein großes Dankeschön an ihre Familie, die für sie weiter geschrieben hat.

 

Ich würde zu gerne das ausdrücken, was ich gerade fühle, aber ich finde nicht die richtigen Worte.

 

In Trauer

Ethik der Ärzte….

Vorgestern merkte die Chefin nebenbei an, dass ich doch bitte noch einen Zettel ausfüllen solle. Was ich nach der Arbeit dann gleich gemacht habe. Und fast einen Schock bekam.

Die ersten Fragen waren ja noch harmlos. Dann wurde es lustig: „Sind Sie drogenabhängig?“ Ich habe sämtliche ironische Kommentare, die mir eingefallen sind, brav ignoriert, noch nicht mal doofe Bemerkungen über Koffein und Co. gemacht und lieb verneint.

Doch bei den nächsten zwei wurde ich sehr schnell unruhig:

„Hatten Sie Operationen? Wenn ja, welche?“

Gut, habe nur meine Schulter-OP reingeschrieben – Mandeln und Polypen sind nun mal nicht besonders spannend, Augen auch nicht und der Rest wurde schon in der nächsten Frage angesprochen:

„Haben Sie momentan akute Erkrankungen?“

Oh.

Mein Herzschlag ging nach oben. Ich will den gottverdammten Job nicht verlieren….

Aber auch nicht meine Ehrlichkeit, allein aus Prinzip, von den rechtlichen Konsequenzen mal ganz abgesehen.

Habe nur „EDS III, Astrozytom“ geschrieben. Was alles relativ variierbar sein kann, mal ganz davon abgesehen, dass die meisten älteren Ärzte nicht einmal was von EDS gehört haben, geschweige denn sofort alle Typen kennen.

Bis jetzt kam kein Kommentar, aber der zuständige Arzt ist auch nicht jeden Tag dort. Ich weiß nicht, ob er den Zettel schon erhalten hat.

Ich glaube, was mich so ankotzt, ist, dass man sofort anders betrachtet wird. Davor war ich eine, die halt aus irgendwelchen Gründen das Studium abbrechen musste. Jetzt bin ich „die mit Krebs“. Als ob ich es nötig hätte, mich dadurch zu definieren!

Welche Fragen dem Arzt wohl beim Lesen durch den Kopf gehen werden? Also, von den medizinischen Fragen mal abgesehen. Fürchtet er, dass ich irgendwann ausfalle, nicht mehr in der Lage bin zu arbeiten? Erkennt er die Ironie? Rein empathisch gesehen macht er auf mich den Eindruck, als wäre er ein Arzt, der seine Patienten noch als Menschen sieht, nicht als Fälle. Er kümmert sich um seine Angestellten, fragt immer mal nach, betrachtet uns nicht als weniger wert, wie es doch viele tun. Erkennt an, dass wir auch arbeiten, wenn auch es natürlich ein ganz anderer Bereich ist als seiner.

Aber wird er damit einen inneren Konflikt haben? Mit dem unbewussten Wissen, dass ein Vollkrüppel seinem Arsch hinterher putzt? Er, der einen großen Teil seines Lebens dem Ziel gewidmet hat, solchen Leuten zu helfen? Dass das eine Arbeit ist, die selbiger Krüppel medizinisch gesehen nicht unbedingt machen sollte, die schmerzhaft ist und schlecht für die kaputten Gelenke?

Wird er dem entgehen wollen, indem er die ganze Sache von sich weg schiebt?

 

An die Mediziner unter euch bzw. an die Leute, die in einem ähnlichen Bereich arbeiten – was würdet ihr in so einer Situation denken/fühlen/machen?