Sitze hier, höre Musik aus den alten Zeiten und sehe dem Regen zu, der vor dem grauen Himmel zeigt, dass der Sommer endgültig vorbei ist.
Die Kälte kommt immer wieder, egal, was man tut und hofft.
Bis jetzt habe ich es immer geschafft, dass Krebs und EDS ein Teil von mir und von meinem Leben sind, aber nicht die bestimmenden, die charakterisierenden. Im Moment habe ich das Gefühl, als würde es mich einholen, jeden Tag aufs Neue.
Und das, obwohl es mir doch eigentlich gut geht. Eigentlich. Eigentlich bin ich guter Stimmung, voller Pläne und Hoffnungen. Aber jedesmal holt es mich ein, egal, was ich mache. Das ist frustrierend.
Das Gabapentin vertrage ich inzwischen ganz gut, abgesehen von ein wenig Übelkeit. Aber die ist fast immer gleich und inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.
Durch die letzten Blutwerte war aufgefallen, dass ich immer relativ niedrige Zuckerwerte habe. Habe daraufhin ein paar Tage regelmäßig früh nüchtern selbige kontrolliert (was relativ lustig war, musste mit einer Nadel extra pieksen, meist mehrfach, mit schlechter Durchblutung klappt der normale Weg nicht. An den Fingern war es mir zu schmerzhaft, hab mir jetzt ein lustiges Smiley auf den Arm gestochen :D) und die Ergebnisse sind ganz interessant: mein höchster Wert war 76 (normal sind 74-110) und mein niedrigster 48, im Schnitt lande ich bei 60.
Das ist eigentlich doch ein Stück zu niedrig. Nachdem ich aber (glücklicherweise!) keine Anzeichen von zu viel Insulin, Diabetes oder sonst was habe, sollte ich eine Woche lang meine Essgewohnheiten aufschreiben.
Ergebnis: ich esse zu wenig. Rein theoretisch solle ich doch mehr essen. Kommentar: Und überhaupt, Übergewicht kann für Chemo gut sein! -.-
Dass ich mit einer kaputten Schilddrüse bzw Hashimoto einfach keinen guten Stoffwechsel habe, interessiert keinen. Nun ja.
Fest steht außerdem, dass das Essen bzw. die Zuckerwerte keinen Einfluss auf den Alltag haben. Da taucht nämlich mein größeres Problem auf…
Meist fängt der Tag super an, ich bin voller Energie, erledige, was ich tun möchte, bin unterwegs etc. etc… Bis irgendwann nachmittags/abends. Dann klappe ich zusammen, muss mich eine zeitlang hinlegen. Sobald ich nur den Arm hebe, fange ich das zittern an, weil es so anstrengend ist. Nach einer gewissen Zeit geht es wieder, aber die Stimmung ist hinüber.
(Einmal war ich da zufällig in der Klinik, mein Blutdruck war von 150/95 auf 130/80 gesackt, aber ob das damit zu tun hat, weiß ich nicht. Früher waren die Werte eh viel niedriger, keine Ahnung…)
Es nervt tierisch, vor allem, weil ich nicht weiß, woher das kommt. Und es verdeutlicht jeden Tag das, dessen wir immer wieder entfliehen wollen: dass wir letztendlich doch nichts machen können; dass wir vom Körper, vom Schicksal, vom Zufall abhängig sind. Als würde jeden Tag ein Baum vor einem umfallen, ein Auto 2 Meter neben einem gegen die Wand knallen und uns demonstrieren, wie zerbrechlich wir alle sind.
Mir fehlt die Ausgelassenheit von früher; die Freiheit, fröhlich sein zu können, ohne über irgendwas nachzudenken. Es fehlt mir ungemein, einfach raus zu gehen, ohne alles vorher planen zu müssen. Mit Freunden auf ein Konzert fahren und notfalls einfach durchfeiern, ohne eine Minute zu schlafen.
Es tut weh, die ganzen Motorräder noch eine letzte Fahrt fahren zu sehen und zu wissen, dass man nicht das Geld bzw. die Möglichkeiten hat, eines zu besorgen. Für Geld, das andere, Gleichaltrige, monatlich verdienen.
Es fällt schwer, objektiv an Diskussionen anderer teilzunehmen, die über ihre geplante Zukunft diskutieren, über Schwangerschaft, über den Beruf. Was soll man sagen, wenn man keine Zukunft hat?
Ich merke, wie ich mich immer mehr zurück ziehe, immer öfter schweige, immer weniger lache.
Der Herbst schert sich nicht darum, wie alt man ist.