Nachdem ich heute morgen so toll überrascht worden war, dass meinem kleinen gemütlichen Blog ein kompletter Artikel bei Medizynicus gewidmet worden war, ich einen nachdenklichen Kommentar von Dr. Geldgier mit einem sehr hilfreichen Link gelesen hatte und sich die Zahl an den Besuchern für das kleine Wohnzimmer einer Chaoskatze hier mehr als verfünffacht hatte, bin ich ein wenig ins Überlegen gekommen.
Dazu kam, dass ich heute einen wunderbaren Bericht von Sophie gelesen hatte, die in ihrer faszinierenden Art der Welt-Schaffung durch Wörter eindrucksvoll von einer wesentlich metaphorischeren Sicht eines Krank-seins erzählt. Sie kann definitiv besser schreiben als ich, aber ich versuche mal, meine Gedanken hier ein wenig einzusortieren.
Oft wird Krebs negativ assoziiert – außer bei den Sternzeichen (wo ich übrigens auch Krebs bin *breit grins*). Oder bei den Viechern 😉
Doch auch bei der Krankheit an sich gibt es durchaus positive Aspekte. Meistens denkt man, wenn jemand davon erfahren hat, wie schockiert derjenige sein könnte, wie traumatisiert. Das alles ist irgendwie auch vorhanden, doch es geht noch ein Stück weiter, der im Normalfall nicht bedacht wird, aber doch vorhanden sein kann.
Ich kann natürlich nicht erzählen, wie es allen zu gehen hat, nein, aber ich kann berichten, wie es mir ging, damit ihr auch sehen könnt, damit solch eine Vermittelung der Diagnose nicht unbedingt schlecht ist.
Ich weiß noch genau, wie es war. Der Tag an sich war natürlich nicht so prickelnd, das wurde auch nicht verbessert, als ich ins CT musste und danach nicht, wie ich eigentlich wollte, nach Hause durfte. Auch war es beunruhigend, als ich ins Stroke Unit musste. Beim Stroke Unit handelt es sich um eine Art Mischung zwischen normaler Station und Intensiv. Dort lag ich und wartete vor mich hin, bis die Ärztin, bei der ich anfangs gelandet war, noch spät am Abend vorbei kam und mir von dem Ergebnis des CTs berichtete – Tumor.
Natürlich war ich erst mal platt. Ich lag da und dachte, jetzt müsstest du doch eigentlich weinen. Aber das musste ich nicht. Es war anders, ich war eher still und ruhig. Denn neben den vielen Fragen, die da automatisch kommen, war es unglaublich beruhigend. Es war, als hätte sich das Fragezeichen, das mich die letzten Jahre begleitet hatte, endlich in Urlaub begeben und zum Ersatz einen etwas verqueren Ausrufezeichen zu schicken, mit ein paar Schrullen und Schrammen, aber doch deutlich.
Es erklärte so viele Sachen, die davor waren und die das Leben schwer anders gemacht haben. Auf einmal wusste ich, warum ich ab und an praktisch weg war; ich wusste, warum ich teilweise so Kopfschmerzen hatte, dass ich mir mich einfach wegwünschte. Es zeigte auf einmal bildlich, warum für mich so viele Sachen oft so schwierig gewesen waren, während Gleichaltrige das ohne Probleme auf die Reihe bekommen konnten. Warum ich ab und an bewusstlos war und es, nachdem mir ja schon bei so vielen Dingen nicht geglaubt worden waren, es als Gefühlssache wegdiskutiert hatte. Dass das „schwindelig werden“ doch gerade bei Leuten mit niedrigem Blutdruck oft normal ist.
Ich werde nie vergessen, wie ich in einem Sommer einen wunderschönen Tag hatte. Gerade das Abi vorbei, nichts zu tun (habe auf die Nachricht gewartet, ob ich einen Platz in der Uni bekommen würde), nebenbei bisschen Geld verdienen; kein Druck, einen wunderbaren Freund und auch noch ein toller Sommer. Wir hatten ausgeschlafen, ich war morgens mit dem Hund Gassi gewesen. Einer der wenigen Tage, wo ich länger als eine halbe Stunde gelaufen war und praktisch keine Schmerzen hatte. War auch schnell beim Bäcker gewesen. Stand in der Erwartung, gleich meinen Freund mit Kaffee und Frühstück aufzuwecken; später ein paar Sachen zusammen zu machen und abends gemütlich wegzugehen. Und genau da, als ich schon in die Tasche langte, um an den Schlüssel zu kommen, war tauchte es wieder auf. Mir wurde schlecht, alles verschwamm. Es fühlte sich an, als würde mir die Luft abgedreht, oder eher: als würde ich atmen, doch meine Zellen würden den Sauerstoff nicht aufnehmen, als säßen sie da und streikten. Alles wird taub, ein Stück weit weg. Und die Welt wurde wieder für einen Stück dunkel.
Ich wusste instinktiv, dass es kein Schwindel war, aber ich wollte es nicht zugeben. Fragte mich nur, warum. Hatte aufgehört zu rauchen, lebte, im Gegensatz zu früheren Zeiten, wirklich gesund, normales Gewicht, kein Kater oder so etwas, vernünftige Ernährung. Wie so oft ging ich fast unbewusst meinen Zettel durch und fand keinen Hinweis, wovon das hätte kommen können, wie immer. Also ignorierte ich es, doch der Tag war nicht mehr so schön.
Solche Sachen kamen immer öfter – wenn ich einkaufen war, in der Schule, beim Arbeiten. Beim Sex, beim Mittagessen. Beim Schlafen. Unberechenbar. Es ruft hervor, was früher war, was später sein könnte. Innerhalb einer Sekunde taucht eine Erinnerung auf, wie man sich in der fünften Klasse fragt, warum man so ist und erst Jahre später begreift, dass es Depressionen waren. Und gleichzeitig: wie wird es später? Das Bild taucht wieder auf, in der Klasse, Abfrage in Französisch. Ausnahmsweise gelernt. Wie man da sitzt und sich mit den Fingern die Augen offen hält und ständig eine Büroklammer in die Haut rammt, in der Hoffnung, irgendwie da zu bleiben und nicht umzukippen, wie so oft.
Und wieder zurück ins Krankenhaus, in dem üblichen Geruch nach Desinfektionsmittel und Erinnerungen. Und alles ist erklärt. Endlich merkt man, warum man so… anders ist, als der übliche Gleichaltrige, warum man so viel älter ist. Es nimmt einem das Unbekannte – und keiner kann mir erzählen, dass das nie belastend sein kann – und gab mir etwas greifbares, bildliches. Etwas, was man mit wenigen Worten berichten kann, was erklärt, was einfach IST.
Nein, es ist manchmal schwierig, etwas „Böses“ wie Krebs anzunehmen, nicht wegargumentieren zu wollen. Aber es gibt gleichzeitig eine Menge „guter“ Sachen – nicht nur die Eklärung. Es gibt auch eine andere Sicht für die Welt, es gibt Optionen, Neues. Es verdeutlicht an einem Selbst, dass GUT und BÖSE nicht an sich existieren kann, alles hat einen Anteil an beidem und letztendlich sind beide nicht existent, denn sie sind beide dasselbe. Tod und Geburt zeigen das mehr als alles andere, und Dinge wie Krebs weisen auch darauf hin.
Ja, es ist nicht immer erfreulich, aber es gehört dazu, es ist Teil des Daseins.
Wenn Sie, als Arzt, das mitteilen müssen; wenn Sie es als Krankenpfleger sehen oder Sie als Angehörige darunter leiden – vergessen Sie nicht, es sind immer gute Aspekte dabei. Immer. Nur manchmal schwer zu finden. Aber es gibt sie.